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20.04.06 Steel et al. (eds.), Astrological Autobiography of a Medieval Philosopher

20.04.06 Steel et al. (eds.), Astrological Autobiography of a Medieval Philosopher


Das Mittelalter hat eine Reihe von Gelehrtenfiguren hervorgebracht, die auch heute noch über Spezialist*innen-Kreise hinaus bekannt sind: hildegard von Bingen, Albertus Magnus oder Roger Bacon sind einem breiteren Publikum vertraut, ihre Werke zumindest in Teilen durch Übersetzungen erschlossen und zugänglich. Henry Bate zählt fraglos nicht zu dieser Kategorie--vielmehr dürften auch zahlreiche Mediävist*innen mit seinem Namen keine klare Vorstellung verbinden, sofern er ihnen überhaupt vertraut ist. Es ist der vorliegenden Edition zu wünschen, dass sie diesem bedauerlichen Zustand entgegenwirkt, auch wenn die Erfolgschancen angesichts des Textinhalts auf den ersten Blick nicht besonders rosig wirken: Ein astrologisches Werk wird vielen zunächst ein wenig "randständig" vorkommen. Tatsächlich trügt dieser Eindruck aber, wie die Herausgeber und Kommentatoren der hier vorzüglich erschlossenen Schrift überzeugend vorführen: Nicht nur präsentiert sich Henry Bate als umfassend im astrologisch-astronomischen Schrifttum seiner Zeit orientiert, wodurch das Werk insbesondere für die Wissenschaftsgeschichte von Bedeutung wird. Darüber hinaus macht seine rege Übersetzungstätigkeit, insbesondere der Werke des jüdischen Gelehrten Abraham Avenezra (Ibn Ezra) (ca. 1089-ca. 1161), ihn zu einem aufschlussreichen Beispiel für den Wissenstransfer zwischen Juden und Christen im 13. Jahrhundert. Vor allem aber bietet der Text inhaltlich eine detaillierte Bestandsaufnahme und Reflexion des Autors über sich selbst im Spiegel der Sterne, die ein faszinierendes Selbstzeugnis darstellt. Zwar darf man keine moderne Autobiographie erwarten, aber die "Nativitas" und deren spätere kritische Reflexion eröffnet doch zahlreiche überraschende Einblicke in die Selbstwahrnehmung eines Gelehrten und Klerikers im späten 13. Jahrhundert.

Doch zunächst zur Einordnung des Werks, also der "Nativitas," die Henry Bate für sein 35. Lebensjahr erstellte, das am 23. März 1280 begann. Der hier erstmals kritisch edierte Text (123-290) ist in zehn Handschriften des 13. bis 16. Jahrhunderts überliefert (teils umfassen diese nur Auszüge), zu denen noch eine heute verlorene Abschrift kommt, die 1373 im Inventar der Bibliothek Karls v. "des Weisen" von Frankreich verzeichnet wurde (1-6). Neben der von allen Herausgebern gezeichneten Edition enthält der Band eine ausführliche und hilfreiche Einleitung, die in insgesamt sieben Kapiteln dicht und kenntnisreich zum Werk hinführt und es kontextualisiert. Nach dem situierenden Vorwort (v-viii) steigt Kapitel 1 etwas unvermittelt mit der handschriftlichen Überlieferung und Textentwicklung ein (1-30). Auf die präzise Beschreibung der Handschriften durch David Juste (1-6) folgt eine Darstellung der Textentwicklung durch Carlos Steel (6-30), der zwei Traditionen herausarbeiten kann: Vollständige Versionen des Texts sind in fünf Handschriften überliefert, die in das 14. und das späte 15. Jahrhundert datieren. Der offensichtliche Erfolg des Werks führt also in die spätere Rezeption, wobei zwei Versionen zu unterscheiden sind: Die Handschrift S (Segovia, Archivio y Biblioteca de la Catedral, B 349 (84)) datiert in die zweite Hälfte des 15. Jahrhunderts und bietet als einzige eine Textfassung, welche die Ereignisse von Bates 35. Lebensjahr als vergangen beschreibt (15) und dabei zahlreiche zusätzliche autobiographische Informationen liefert. Damit ist diese Fassung als "empirische Bestätigung der astrologischen Vorhersage" anzusprechen (21: "... the S version is an empirical confirmation of the astrological prediction of the α version") und bietet zugleich als einziger Zeuge, wenngleich in später Kopie, eine Überarbeitung die wohl unmittelbar auf Bates Autograph zurückgeht (24; Stemma: 25). Den ältesten Zeugen des Werks überhaupt stellt eine Münchner Handschrift des späten 13. Jahrhunderts dar (M: BSB, Clm 3857), die aber nur knappe Auszüge enthält. Wie eine später im Besitz der Astrologen Louis de Langle und Simon de Phares befindliche Pariser Handschrift P (BnF, ms. lat. 7324) und eine in Sevilla aufbewahrte Kopie des 15. Jahrhunderts (L: Biblioteca Capitular y Colombina, 5-1-38) geht auch M über eine verlorene Kopie β auf eine ebenfalls nicht überlieferte Handschrift α zurück, die wohl vor 1285 entstanden sein muss. Von α direkt abhängig ist die in Venedig überlieferte Handschrift (V: Biblioteca Nazionale Marciana, lat. VI.108 (2555)), auf welche die weiteren Abschriften in Oxford, Paris, Wien und im Vatikan zurückgehen. Die Edition folgt grundsätzlich α nach P und V, da S zwar unmittelbar auf den Autographen zurückführt, aber eine problematische Textqualität aufweist. Die zentralen abweichenden Passagen von S sind in einem Appendix I separat ediert (261-264).

Auf die philologisch und überlieferungsgeschichtlich zentralen Ausführungen folgt eine kurze Skizze von Bates Leben und familiärem hintergrund (Kap. 2: 31-43): Steel und Vanden Broecke tragen umsichtig die knappen Informationen zusammen, für welche die "Nativitas" eine wichtige Quelle darstellt. Bate wurde am 24. März 1246 kurz nach Mitternacht in Mechelen als drittes von vier Kindern einer wohl gut situierten Familie geboren, die zum lokalen Patriziat zählte (31-32: einHenricus dictus Bate wird 1259 als einer der Herren der Abtei Grimbergen genannt). Nach dem Studium in Paris, bei dem er wohl Peter von Limoges, Wilhelm von Saint-Cloud und Thomas von Aquin kennengelernt haben dürfte, kehrte er spätestens 1273 (vielleicht schon 1271) nach Mechelen zurück und schlug eine kirchliche Karriere ein. Im Umfeld von Guy von Avesnes, dem Bruder Graf Johanns (ii. von Avesnes) von Hennegau (und später Bischof von Utrecht), erhielt er 1273 seine erste Pfründe. Im selben Jahr soll in Bates Haus in Mechelen in Zusammenarbeit mit einem Juden "Hagin" (also Chajjim; 34) und einem Obert de Montdidier eine Übersetzung von vier astrologischen Traktaten Abraham Ibn Ezras aus dem Hebräischen ins Französische entstanden sein. Im Folgejahr nahm Bate am Konzil von Lyon teil, wo er Wilhelm von Moerbeke kennenlernte, später finden wir ihn als Kathedralkanoniker an St. Lambert in Lüttich (vielleicht bereits ab 1276; 35). Insgesamt erscheint er ausgesprochen gut vernetzt und verdankte seine Karriere wohl nicht nur klerikalen Förderern wie Jean d’Enghien, dem Bischof von Lüttich, sondern auch weiblichen Wohltäterinnen, zu denen auch Damen aus dem Umfeld Marias von Brabant gezählt haben dürften, der Gattin König Philipps III. von Frankreich (37). Spätestens 1289 erlangte Bate schließlich das Amt des Kantors an St. Lambert. Für sein wissenschaftliches Werk war eine Reise nach Orvieto entscheidend, wohin er 1292 Guy d’Avesnes begleitete: hier vollendete er mehrere Übersetzungen der Werke Abraham Ibn Ezras und lernte auch Bischof Adam von Aversa kennen. Nach dieser Reise hielt Bate sich vorwiegend in Mechelen auf, wo er sein "Speculum divinorum" vollendete (zwischen 1301 und 1305). Er starb nach 1310--das genaue Jahr ist unbekannt--nachdem er vielleicht seine letzten Jahre in der Abtei Tongerlo verbracht hatte (40). Aufbauend auf dem Text der "Nativitas" stellen Steel und Vanden Broecke Bate als weitgehend gesund und kräftig vor (mit einigen kleineren Beschwerden) und als geschickten Musiker, zumindest in seiner Jugend, der durchaus den Freuden des Lebens gegenüber aufgeschlossen war (40-43).

Dass ihn diese Neigung nicht intellektuell unproduktiv werden ließ, zeigt Justes Überblick zu Bates astrologischen und astronomischen Werken (Kap. 3: 44-54): sechs eigene Schriften können ihm zugewiesen werden, zu denen neben der "Nativitas" etwa ein Werk zum Astrolab zählt, aber auch astronomische Tafeln für Mechelen. Ein Kommentar zu Albumasars "De magnis coniunctionibus" ist verloren, während ein Bate zugeschriebener Traktat zu den Fehlern der Alfonsinischen Tafeln sicher nicht von ihm stammt (48). hinzu kommen mehrere Übersetzungen astrologischer Werke, neben Alkindis "Liber de iudiciis revolutionum annorum mundi" vor allem mehrere Schriften Abraham Ibn Ezras, die anschließend teils breit überliefert sind (49-54). Die hier edierte "Nativitas" charakterisiert Vanden Broecke (Kap. 4: 55-64) als "astrologische Autobiographie," mit der sich der Verfasser in selbstreflexiver Wendung Gewissheit über seine Lebenssituation verschafft habe. Dabei sei eine eigentümliche Spannung zu beobachten, da sich der Reichtum der persönlichen Details, die Bate preisgibt, nicht zu einem überwölbenden Gesamtbild der Person füge (59), so dass hier also kein „modernes Individuum“ avant la lettre begegne. Tatsächlich sind der Forschung durchaus ältere Nativitäten bekannt, die mittelalterliche Astrologen für sich selbst erstellten, wie Juste in Erinnerung ruft (Kap. 5: 65-85, hier 65f.). Allerdings ragt der hier edierte Text doch hinsichtlich seiner Ausführlichkeit ebenso heraus wie bezüglich seiner astrologischen Gelehrsamkeit. Neben dem Einfluss solcher Gelehrter wie Peter von Limoges und Wilhelm von Saint-Cloud im Umfeld der Pariser Universität (68-80) beeindruckt bereits die reine Auflistung der zahlreichen Autoritäten, die in die "Nativitas" entweder in Form direkter Zitate oder in ihren Inhalten einflossen: Juste identifiziert nicht weniger als 40 Werke (80-85), die praktisch das gesamte verfügbare astrologische Wissen im lateinischen Europa dieser Zeit umschreiben. Besonderen Anteil haben die Schriften des Abraham Ibn Ezra, die Bate durch seine Übersetzungen den lateinischen Gelehrten erst verfügbar machte. Wie Sela verdeutlicht (Kap. 6: 86-91), kam Bate dabei stellenweise auch ein wenig durcheinander, so dass Abraham gleich in dreierlei Gestalt begegnet, als Abraham Avenezra, Abraham Princeps und Abraham Compilator. Im hintergrund steht dabei Abrahams Praxis, seine Texte wiederholt zu überarbeiten, so dass Bate schlicht davon ausgegangen sein mag, die verschiedenen Versionen müssten unterschiedlichen Verfassern zuzuschreiben sein (91).

In die eigentliche astrologische Praxis führt schließlich Vanden Broecke ein (Kap. 7: 92-105), indem er detailliert die vier Horoskope vorstellt, die in der "Nativitas" zu finden sind: Neben dem Geburtshoroskop des Autors (24. März 1246, 0:06 Uhr) bietet das Werk noch ein Horoskop zur Konjunktion von Sonne und Mond, die der Geburt unmittelbar vorausging (19. März 1246, 3:47 Uhr), sowie zwei Horoskope zu Bates 35. und 36. "Revolution" (23. März 1280, 5:01 Uhr, und 23. März 1281, 10:48 Uhr). Da in dieser Epoche entsprechend exakte Daten meist nicht vorlagen--und dies gilt auch für Bate--war der Einsatz artifizieller Rechenschritte nötig, um den Zeitpunkt zu bestimmen. Gegen Ptolemäos "Tetrabiblos" folgte Bate der von Ibn Ezra verfeinerten Methode der trutina Hermetis (95f.), um anschließend den für die Lebenslänge entscheidenden hyleg und den diesen beherrschenden alcochoden zu bestimmen (96f.).

Ein Index der benutzten Manuskripte (107-110) sowie eine ausführliche Bibliographie (111-118) beschließen die Einleitung. Es folgen vier SW-Abbildungen aus Handschrift Par (Paris, BnF, ms. lat. 10270; s. XV2), die neben der "Nativitas" noch weitere astrologische Texte enthält (119-122). Die eigentliche Edition bietet schließlich einen sorgfältig bearbeiteten und aufbereiteten Text (127-260), der auf den ersten Blick die Vielzahl der genutzten Quellen und Autoritäten zu erkennen gibt. Die grundsätzliche Struktur des Werks kann kaum überraschen: Auf ein Proömium (127f.) folgen Erläuterungen zum Aszendenten des Geborenen (128-139), das eigentliche Geburtshoroskop (139-147), das nach den zwölf Häusern des Horoskops geordnete "Iudicium" (237) sowie die "Revolutionen" zum 35. und 36. Lebensjahr (237-260). Für die Geschichte der Astrologie ermöglicht dieser Text zahlreiche Einblicke in das Arbeiten des Autors, der detailliert sein Vorgehen erläutert und die einzelnen Schritte nachvollziehbar macht.

Tatsächlich bietet das Werk aber auch quasi nebenbei eine Vielzahl von Informationen, die weit über das rein Astrologische hinausgehen. Aus diesem Reichtum seien hier nur einige Details herausgegriffen: Schon für die Feststellung seines Geburtsmoments schildert Bate ausführlich, dass er sich bei den Frauen erkundigt habe, die bei der Geburt anwesend waren (128). Für die folgenden Berechnungen verweist er zwar auf zahlreiche pagane, muslimische und jüdische Autoritäten (129f.), vergisst darüber aber nicht, auch Gottes hilfe entsprechend zu würdigen (131: cum Dei adiutorio). Das eigentliche "Iudicium" entwickelt sodann ein geradezu idealtypisches Modell für die Deutung einer Nativität nach der Ordnung der zwölf Häuser. Zunächst lernen wir Bate als von eigentlich guter körperlicher Konstitution kennen, wobei der Einfluss des Mondes zu Ernährungs- bzw. Verdauungsproblemen führt (157). Die ausführlichen Erläuterungen über die Beschaffenheit seiner Seele zeigen uns einen buchstäblich geborenen Gelehrten und Philosophen, der aber zugleich die Gesellschaft von Menschen zu schätzen weiß (181). Dabei demonstrieren die Ausführungen zum zweiten Haus eine deutliche Karriereorientierung des Autors, der sich die Nähe zu Königen und Glück im Umgang mit Adligen attestiert bzw. prognostiziert (185; vgl. 191) und damit eine für einen Kleriker durchaus überraschende Offenheit an den Tag legt. In argumentative Schwierigkeiten gerät er allerdings im fünften Haus, da die Verhältnisse von Sonne, Merkur und Venus die Geburt eines Nachkommen anzeigen (192)--eine für einen Kleriker nicht unproblematische Information, der er letztlich nur den als Standardformel erscheinenden Verweis darauf entgegensetzen kann, dass andere Einflüsse den Effekt verhindern könnten (193: Et hoc quidem uerum est nisi aliud sit prohibens.). Nicht weniger schwierig erscheint die dilectio cum mulieribus(194; vgl. auch 197), so dass es kaum überraschen kann, wenn Bate den Abschnitt lieber mit dem hinweis auf seine Gesangskünste enden lässt (194). Dass er sich ernsthaft an diesen für ihn zum Teil wenig schmeichelhaften Befunden abarbeitet, zeigt auch ein späterer Verweis auf eine durch den zunehmenden Mond angezeigte Ehe in jungen Jahren (199), dem Bate nicht mehr entgegensetzen kann als die berühmte, Ptolemäus zugeschriebene Bemerkung, dass das Vorwissen durch die Astrologie es erlaube, die Effekte der Sterne zu vermeiden (201). Dass er dafür qualifiziert sei, unterstreichen die Erläuterungen zum neunten Haus, die nicht nur überraschend deutlich die Geburt Christi mit der mutatio triplicitatis in Verbindung bringen (213), sondern auch den Autor selbst alsastronomicus, sapiens diuinationum ac futurorum annuntiator (214; vgl. 216) präsentieren. Das zehnte Haus lässt Bate schließlich auf eine für einen Kleriker ebenfalls verblüffende Weise auf zukünftige Karrieresprünge blicken (218: exaltationes magnas et honores), wobei gewisse Schwierigkeiten überwunden werden müssen (222). Dass auf diesem Weg Frauen eine wichtige Rolle spielen sollen (223: acquiri dignitas per mulieres uel mulierum beneficia) bietet einen ebenso faszinierenden Einblick in diese Zeit und in Bates Wahrnehmung wie der knappe hinweis, dass er häufig vom Fliegen träume: hic natus somniat frequentius se uolare per aera. (217).

Noch vieles gäbe es zu erwähnen, von der Aussicht auf den Tod fern der Heimat (231: Morietur natus extra locum natiuitatis) und durch einen Sturz (232: cadet ab alto et morietur), bis hin zu den konkretisierten Aussichten für das 35. und 36. Lebensjahr, die in gesonderten Abschnitten kompakt entwickelt werden (237-251, 251-260). Besonders faszinierend erscheint dabei die revidierte Version des Textes in Handschrift S, welche die Vorhersage rückblickend kritisch sichtet (Appendix I, 261-264). Die insgesamt äußerst sorgfältige Edition (nur kleinere Fehler begegnen, etwa 243: habibitavit; lediglich Appendix II, 264-267, weist mehr Unsauberkeiten auf) macht damit einen Text verfügbar, der eine Vielzahl von Einblicken in die Welt des späten 13. Jahrhunderts eröffnet. Auch jenseits der Forschung zur Geschichte der Astrologie ist dem Werk daher uneingeschränkt eine breite Rezeption zu wünschen.