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IUScholarWorks Journals
16.06.19, Schofield, ed., Seals and their Context in the Middle Ages

16.06.19, Schofield, ed., Seals and their Context in the Middle Ages


In diesem Band sind vierzehn Beiträge vereint, welche das Ergebnis einer Tagung in Aberystwyth vom April des Jahres 2012 darstellen. Der Schwerpunkt der Untersuchungen lag dabei auf dem walisischen Raum, was auch der Ausrichtung des von dem AHRC geförderten Projekt "Seals in Medieval Wales 1200-1500" geschuldet war.

Als Byzantinist erhofft man sich, bei der Lektüre Anregungen und fachübergreifende Anknüpfungspunkte zu sigillographischen Grundlagenforschungen (der Mediävistik) zu finden, da die Begriffe "context" und "middle ages" im Titel solche vermuten lassen. "Seal" bedeutet hier sowohl das geprägte Siegelstück als auch den Siegelstempel. In drei Sektionen werden Status und Macht, Recht und Praxis sowie das Umfeld der Verwendung von Siegeln analysiert.

In dem einführenden, lesenswerten Beitrag "This is a Seal" (1-5) diskutiert P.D.A. Harvey Terminologisches. Sigillum stand auf englischen Siegellegenden bis zum späten 11. Jh. meistens am Beginn (2), wobei sigillum als Diminutivform von signum zu verstehen ist (erscheint im 9. Jh., S. 4). Sigillum bedeutet also nicht das Siegel an sich, sondern das Kreuz/Zeichen am Beginn der Legende, was der Authentizität eines Siegelabdruckes dient. Harvey führt das Beispiel + COENVVFI REGIS / + MERCIORUM an, der Königsname steht nicht im Nominativ, sodass die Legende als "Kreuz des Cenwulf, König der Mercier" zu verstehen ist.

Im ersten Teil ("Seals, Status and Power") wird zunächst das Siegelwesen am Hof von Heinrich II. untersucht (Nicholas Vincent, "The Seals of King Henry II and His Court," 7-33). Die Siegelflächen dienen dabei als Spielwiese der (hin und wieder auch provokanten) Selbstdarstellung sowie als Folie der eigenen Vergangenheit. Vincent weist darauf hin, dass Siegellegenden manchmal humorvoll und doppeldeutig sein können. So prägt Richard von Lucy SIGILLUM RI(CARD)I DE IURIS PACE, was lateinisch gelesen "den Gesetzesfrieden betreffend," mittelenglisch aber "von deiner (oder der Gesetze) Spitze" bedeutet (21). Die Inschrift DEVS SALVET CUI MITTOR (Stephan von Thurnham) zeigt wiederum das Spiel mit dem Rezipienten, der gleichsam eine Warnung erhält: "Gott schützt den, zu dem ich geschickt werde" (22). Der Vertrag von 1205 (nach der Unterwerfung der normannischen Aristokratie) durch Philipp August von Frankreich regelt die Rechte des neuen Machthabers gegenüber der Kirche. Das Dokument ist erhalten geblieben und wird systematisch von Daniel Power ("The Declaration on the Norman Church [1205]: A Study in Norman Sigillography," 35-62) untersucht. Neunzehn Siegel (in einem Appendix katalogartig behandelt) hängen an dem Dokument, die sich stark voneinander unterscheiden, wenngleich ihre Inhaber einen etwa gleichen gesellschaftlichen Stand hatten. Die Siegel zeigen Freude zur Innovation und Variation, was sie weder vorher noch nachher in dieser Ausprägung besaßen. Die Beziehung zwischen dem Siegelbesitzer und der Ikonographie bzw. dem Design des Siegels nimmt Jörg Peltzer ("Making an Impression: Seals as Signifiers of Individual and Collective Rank in the Upper Aristocracy in England and the Empire in the Thirteenth and Fourteenth Centuries," 63-76) unter die Lupe. Die Berufsgruppe der Siegelmacher oder Siegelschneider erlebte ab dem 13. Jahrhundert einen großen Aufschwung, da das Bedürfnis nach Siegelstempeln anwuchs. Es scheint üblich gewesen zu sein, wie das Beispiel des Amadeus von Savoyen zeigt, dass man sich bei einem Stadtbesuch (London) auch Siegelpatrizen kaufen konnte (1292). John McEwan ("Making a Mark in Medieval London: The Social and Economic Status of Seal-Makers," 77-88) zeichnet ein Bild dieser sozialen Gruppe auf der Basis einiger prosopographischer Skizzen. Die Siegelschneider (möglicherweise gab es auch eine Frau, Alice, S. 79) arbeiteten im Viertel der Goldschmiede, was ihre Anerkennung und ihre Prosperität zeigt.

Siegel stellten selbstverständlich wichtige Elemente im Verwaltungsprozess dar, wie die Beiträge in Abteilung 2 ("Seals, Law and Practice") demonstrieren. Brigitte Bedos-Rezak beschäftigt sich mit dem Kommunikationsprozess als Ganzem, bei dem die Besiegelung auch einen beträchtlichen Platz einnimmt ("Seals and Stars. Law, Magic and the Bureaucratic Process [12th-13th centuries]," 89-100). Ein aussagekräftiges Zeugnis zum zeitgenössischen Verständnis der Einheit eines Dokuments hinterließ Konrad von Mure (1210-1281). Er betont, dass für einen Brief die Wörter (=Seele) und das Siegel (=Körper) wichtig seien. Die salutatio und der Brieftext müssen zum Siegel passen. Daran anknüpfend stellt die Autorin Überlegungen zu Autorität und Authentizität an. Paul Brand ("Seals and the Law in Thirteenth Century England," 111-119) analysiert die Siegelpraxis. Wichtig war nicht das Siegel an sich, sondern der Prozess des Siegelns, insbesondere das Abheben der Siegelmatrize aus dem noch warmen Wachs, wenn die Umstehenden den Abdruck sehen konnten. Zudem soll das Dokument einen Hinweis enthalten, dass der Aussteller (einer Urkunde) mit dem Siegler (Siegelbesitzer) identisch ist; bezeugt sind auch Fälle, bei denen unbeschriebene, nur mit Siegeln versehene Dokumente nach Rom geschickt wurden, um dort mit schriftlichem Inhalt gefüllt zu werden. Nach dem Ableben eines Siegelbesitzers ging der Siegelstempel an die Witwe, die es bis zum Begräbnis behielt und dann entweder an einen Erben weitergab oder vernichten ließ. Es war auch üblich, dass Landbesitzer zumindest zeitweise ihre Siegel den "men of business" übertrugen. In einem kurzen Beitrag mit einem Katalog von Notarsiegeln führt John Cherry ("Iustitia, Notaries and Lawyers: The Law and Seals in Late Medieval Italy," 122-135) in das Siegelwesen der Kanzleien in Italien ein. "Klassische" sigillographische Studien liefern Adrain Ailes ("Governmental Seals of Richard I," 101-110), Brian Kemp ("Family Identity: The Seals of the Longespées," 137-150) und (in Abteilung 3) David H. Williams ("Seal Finds in Wales," 195-205).

Auf die Ikonographie und die Bildpropaganda gehen drei Beiträge ein. Markus Späth ("Memorialising the Glorious Past: Thirteenth Century Seals from English Cathedral Priories and Their Artistic Contexts," 161-172) behandelt Siegel, bei denen die Dreidimensionalität ein besonderes Kennzeichen (gleichsam einen heiligen Akt) darstellt und die Kunstfertigkeit ihrer Hersteller bezeugt. Gern gepflegt wurde diese Form bei Institutionen mit bedeutender Vergangenheit wie in Canterbury (Christ Church) oder in Ely, wodurch sich auf die gute Erhaltung erklären lässt. 1232/33 kam es in Canterbury zu einer Innovation bei dem Siegelbild. Das Architekturelement wurde mit menschlichen Figuren bestückt und auf der Rückseite die Ermordung Thomas Beckets thematisiert, was im Selbstverständnis des Konvents wichtig geworden war. Die Bedeutung des Objekts wird durch einen Hexameter betont, welcher um den Rand des Siegels läuft. In Ely hingegen besiegeln die Stifter Peter und Etheldreda die Schatzkammer. Auch hier dient die Ikonographie der Pflege der Memoria und der Betonung der eigenen Tradition. Elizabeth A. New ("[Un]conventional Images. A Case-Study of Radial Motifs on Personal Seals," 151-160) geht auf Stilelemente bei der Gestaltung der Siegel ein. Mit Vergangenheit hat auch die Studie von T.A. Heslop und Matthew Sillende ("Putting Seals on the Map: Francis Blomefield's Plan of the City of Norwich, 1746, and the Constitution of Civic History," 173-194) zu tun. Auf der genannten Karte werden auch Siegel mitabgebildet, die für die Stadtgeschichte wichtig sind (und gleichsam eine Sigillotopographie erzeugen). Die Autoren versuchen die gedruckten Siegel zu identifizieren.

Die sigillographischen Phänomene, die in diesem Band behandelt werden, lassen sich mit Entwicklungen im byzantinischen Osten nicht mehr vergleichen, da der Höhepunkt des Siegelwesens dort längst überschritten war, denn ab dem 13. Jh. hatte im byzantinischen Kulturkreis sowohl die Vielfalt als auch die Menge einen beträchtlichen Rückgang erlitten. Auffällig ist, dass im Westen Wachs der dominierende Siegelstoff war, der sich auch für komplexe, dreidimensionale Kompositionen eignete. Außerdem sind wesentlich mehr Stempelsiegel bzw. Patrizen erhalten geblieben (im byzantinischen Osten kommt man nicht einmal auf ein Dutzend Siegelzangen). Im gesamten mittelalterlichen Europa dienten Siegel der Selbstdarstellung, im Westen wichtig waren Wappen und heraldische Darstellungen, während im griechischen Osten die Darstellung von Heiligen (gleichsam Schutzpatronen) und sehr genaue Amts- und Titelangaben dominierten. Historische Ereignisse flossen nicht in die Ikonographie byzantinischer Siegel ein. Wesentlich ausgefeilter und rhetorisch raffinierter waren in Byzanz die Siegelinschriften, die zum überwiegenden Teil metrischen Gesetzmäßigkeiten folgten, was bei dem hier ausgebreiteten Material selten der Fall war.

Die Publikation zeichnet sich durch eine reiche Bebilderung aus, und man gewinnt einen guten Überblick über einen Teil der europäischen spätmittelalterlichen Siegelkunde.