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IUScholarWorks Journals
25.03.02 Stump, Phillip. Conciliar Diplomacy at the Council of Constance (1414–1418): Unity and Peacemaking in a World Historical Perspective.
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Phillip H. Stump, mittlerweile professor emeritus am Lynchburg College, zählt sicher zu den besten Kennern des Konstanzer Konzils. Seine Studie “The Reform of Papal Taxation at the Council of Constance (1414-1418),” 1994 erschienen, ist längst zu einem Klassiker der Konstanz-Literatur avanciert. Andere seiner Arbeiten befassten sich mit der Überwindung des Großen abendländischen Schismas auf dem Konstanzer Konzil, mit Reformvorstellungen und ihrem Verhältnis zur Tradition, mit Konzilspredigten und den Quellen des Constantiense.

In seinem neuesten Buch beschäftigt sich der Autor erneut und wie er schreibt, in a “World Historical Perspective,” mit der Wiederherstellung der Union, worin er zurecht die eigentliche Aufgabe des Konstanzer Konzils und dessen Erfolg begründet sieht (Kap. 1-5 und 8). Detailliert analysiert er den Prozess, der schließlich zur Überwindung der Spaltung führte, in der die Kirche in zwei bzw. drei Obödienzen und entsprechende Hierarchien zerbrochen war. Mit allen Mitteln der Diplomatie versuchte eine breite Mehrheit von Konzilsteilnehmern--über alle nationalen Unterschiede und hierarchischen Ränge des Klerus hinweg--die Einheit mit friedlichen Mitteln wiederherzustellen und einen Ausgleich zwischen den unterschiedlichen Interessen und Gruppen herzustellen. Diesem gemeinsamen Ziel waren auch die noch bestehenden Loyalitäten zu den verschiedenen Päpsten, die bislang um die Anerkennung als einzig wahres Kirchen­oberhaupt kämpften, nachgeordnet. Deren geringe Bereitschaft wiederum, den Weg zur Union durch ihren Rücktritt freizumachen, ließ den Unwillen der Konzilsteilnehmer wachsen und erhöhte den Druck, selbst initiativ zu werden. Ein breites Bündnis aus dem römischen König Sigmund, den Kardinälen d’Ailly und Fillastre, der Gallicana, der Germanica und der Anglicana sowie zunehmend auch Vertretern der Italica brachten zunächst den Pisaner Papst Johannes XXIII. dazu, dass dieser seinen Rücktritt in Aussicht stellte und nach seiner Flucht vom Konzil abgesetzt wurde. Vertreten durch seinen loyalen Anhänger und Bevollmächtigten Malatesta ließ Gregor XII. in Verhandlungen mit Sigmund und dem Konzil seinen Rücktritt erklären, während Benedikt XIII. zögerte und auf Zeit zu spielen versuchte. Die Reise einer Konzilsdelegation sowie des römischen Königs nach Südfrankreich konnte zwar den Aragoneser Papst nicht zur Aufgabe seines Anspruchs bewegen, erreichte aber bei den ihn unterstützenden Herrschern und deren Königreichen, dass sie ihre Obödienz gegenüber dem halsstarrigen Benedikt aufgaben. Der Umsetzungsprozess der Gehorsamsaufkündigung, dessen Hintergründe Stump eingehend analysiert, gestaltete sich auf der iberischen Halbinsel eher schwierig und langwierig. Erst 1416/17 schickten die iberischen Königreiche ihre Gesandten nach Konstanz, um dem Konzil beizutreten und mit der Wahl eines einzigen und unbezweifelbaren Papstes die kirchliche Einheit im Okzident wiederherzustellen. Letzteres erwies sich allerdings als deutlich schwieriger als erhofft, was einerseits mit dem mühsamen Prozess der Integration der Anhänger Benedikts XIII.--vor allem aus Kastilien--zusammenhing, andererseits an der Frage des Wahlrechts im Konklave und der Problemstellung, ob zunächst die Reformfrage gelöst oder aber zuvor die Neuwahl stattfinden solle, zu scheitern drohte. Ein letzter Kompromiss der Mehrheit des nach einem Konsens suchenden Konzils, einschließlich des römischen Königs, mit den für ihre traditionellen Vorrechte beim Konklave streitenden Kardinälen und deren Anhängern ebnete den Weg zum Konklave, zur Wahl Martins V. und damit zur erfolgreichen Herstellung der Union.

Soweit die vom Autor in sechs von acht Kapiteln dargestellten historischen Ereignisse. Stumps zentrale These (“principal goal”) ist das Aufzeigen der Konsensbemühungen der Konzilsväter--intern z.B. in Wahl- und Abstimmungsverfahren, die einen breiten Konsens herstellen sollten (65), ebenso gegenüber Johannes XXIII., dem die Wahrung des Gesichts bei seinem Rücktritt zugestanden wurde (74), nach außen durch den Einsatz diplomatischer Mittel, die auf Gewalt­anwendung (via facti) verzichteten. Damit vermittelt der Autor einen guten Eindruck einer Konzilspraxis friedlicher Konsensbildung in einer vielfach gespaltenen Welt (xi f., 22). Folgerichtig richtet er damit seinen Fokus auf die Konzilsväter als einer gemeinschaftlich handelnden Gruppe (83) und weniger auf herausragende Einzelpersonen--den römischen König, einen der drei Päpste, einzelne renommierte Kardinäle etc. Exemplarisch weist er auch darauf hin, dass nicht einzelne Diplomaten bzw. Gesandte, sondern mehrköpfige Gesandt­schaften zu Verhandlungen beauftragt wurden (etwa bei der Wahl des Konzilsorts oder bei dem Treffen mit Benedikt XIII.). In diesen Kontext ist auch Stumps Neubewertung der Person König Sigmunds einzuordnen, durch dessen diplomatische Bemühungen (“his astute diplomacy,” 37, 41) und enge Kooperation mit dem Konzil das gemeinsame Handeln gestärkt wurde (“an effective mediator in cooperation with the Council,” 41). Sigmunds Bündnis mit Heinrich V. von England wird vom Autor auch nicht als einseitige Parteinahme im englisch-französischen Krieg interpretiert, sondern als der Versuch des römischen Königs, ein breites Bündnis europäischer Mächte zustande zu bekommen, nicht zuletzt um seine eigenen politischen Fernziele, vor allem die Befreiung des Heiligen Lands, umsetzen zu können. Stumps Argumentation überzeugt und zwingt den Leser dazu, traditionelle Forschungspositionen zu überdenken und auf ihre Haltbarkeit und Tragfähigkeit zu überprüfen.

In der hier vorgelegten Arbeit geht es dem Autor nachdrücklich darum, zentrale Positionen und Interpretationsansätze der bisherigen Forschung anhand einer direkten Konfrontation mit den originären Quellen zu überprüfen und, wo dies nötig scheint, die Geschichte des Konstanzer Konzils partiell neu schreiben. Im Rahmen seiner Darstellung der Verhandlungen der Kastilier zu ihrem langen hinausgezögerten Beitritt zum Konzil sowie zur Absetzung des Aragoneser Papstes, einem Kernstück dieser Arbeit, wertet Stump systematisch die Handschrift 2599 der Biblioteca Universitaria de Salamanca aus. Bei dieser handelt es sich um eine umfangreiche Material­sammlung des Bischofs Diego de Anaya von Cuenca, des Verhandlungsführers der Kastilier auf dem Konzil, der als loyaler Anhänger Benedikts versuchte, die Arbeit der Kirchenversammlung zu torpedieren. Eine Übersicht über die einzelnen Stücke dieser Handschrift enthält Appendix 2 (262-271). Da dieses zentrale Manuskript für das Konzil bislang noch ungedruckt ist und nur an seinem Aufbewahrungsort eingesehen werden kann, wäre es ein dringendes Anliegen der Konstanz-Forschung, dass es in gedruckter Form oder digital publiziert sowie kritisch aufbereitet wird. Wer wäre für diese Aufgabe nicht prädestinierter als der Autor der hier rezensierten Studie?

Bedauerlicherweise fehlen im Kapitel zur Entwicklung Kastiliens nach Unterzeichnung der Capitula Narbonensia (Kap. 4.5, auch 4.6), dem Abschlussdokument der Verhandlungen von Perpignan, die Quellennachweise, auch die Sekundärliteratur wird in den spärlichen Fußnoten kaum zitiert. Warum in diesem Kapitel--es bleibt ein Einzelfall--auf den “Apparat” weitgehend verzichtet wurde, ist nicht erkenntlich.

Stump arbeitet nicht nur quellengestützt, sondern er informiert auch über den Aussagewert seiner Quellen, über Intentionen ihrer Verfasser und andere quellenrelevante Probleme (vgl. Appendix 1, 257-261). Mit Vorbehalt betrachtet er insbesondere die Aufzeichnungen des Kardinals Fillastre, der keineswegs ein unparteiischer und objektiver Beobachter des Geschehens ist (42-45), was in Teilen der älteren Forschung übersehen oder negiert wurde. Seine Arbeit versteht sich als eine kritische, jedoch stets sachorientierte Auseinandersetzung mit althergebrachten Positionen der Konstanz-Forschung. Kritisch setzt er sich insbesondere mit den Positionen Walter Brandmüllers, des Verfassers einer umfassenden zweibändigen Darstellung des Konzils (1991/1997), eines Standardwerks der neueren Forschung, auseinander, man könnte in Teilen sogar von einem Gegenentwurf sprechen. Detailliert (xiv, 53 und öfter) begründet der Autor seine abweichenden Einschätzungen, z.B. bei der Einberufung des Konzils und der Beurteilung wichtiger Personen (Sigmund, Johannes XXIII., Benedikt XIII., Kardinal Fillastre, etc.).

Stumps Studie basiert auf dem aktuellen Forschungsstand und berücksichtigt die einschlägige Fachliteratur, selbst wenn dem Rezensenten einzelne Lücken aufgefallen sind, etwa die bahn­brechende Studie Florian Essers zum Pisaner Konzil (2019), die Darstellung Johannes Grohes zu den Aragoneser Konzilien (1991), vor allem aber auch die beiden Bände zu den Verhandlungen in Perpignan 1415 (2017/18). Etwas misslich ist, dass die von ihm benutzten Werke und Autoren nicht immer in den Fußnoten (oder wenigstens im Literaturverzeichnis) nachgewiesen werden, bspw. C.M.D. Crowder und E.F. Jacob (234). Ein bloßer Querverweis auf frühere Arbeiten Stumps ist unpraktisch (250 FN 4); nicht jeder Leser hat diese stets griffbereit. Hilfreich ist in jedem Fall der Index (286-293), der die vorkommenden Orts- und Personennamen verzeichnet (leider nicht ganz lückenlos; es fehlen etwa Henricus de Piro, 89, oder Jean de Bertrands, Bischof von Genf, 94).

Man kann gewiss darüber streiten, ob es wirklich notwendig ist, Gegenwartsbezüge herzustellen, die teilweise doch sehr gewollt erscheinen (z.B. die Analogie zwischen geglückter bzw. nichtgeglückter interkultureller Kommunikation zwischen den Konzilsnationen mit der des Kalten Kriegs, 14f.). Nicht zu bestreiten ist aber, dass der perspektivische Vergleichsblick Erkenntnisse für spätere Epochen bis hin zur Gegenwart liefern kann, wie der Autor auch zeigt (etwa 75, 208 FN 20).

Auch weitere Anleihen an den Zeitgeist, etwa das Kapitel über die Frauen im Kontext des Konzils (Kap. 6)--gewiss ein interessanter Anstoß, der substanziell aber wenig Neues enthält--wären in der Sache nicht notwendig gewesen, sieht man vielleicht von der Rolle ab, die die Königin Catalina von Lancaster in der Phase der Loslösung Kastiliens von Benedikt XIII. spielte (165-168). Der Bedeutung des Forschungsgegenstands angemessen wäre jedenfalls eine andere, eigenständigere Form der Veröffentlichung gewesen. Das mag auch für den Abschnitt zur Finanzierung des Konzils (Kap. 7) gelten, der eher bruchstückhaft einiges interessantes Neues für den Konstanz-Forscher bereithält und zeigt (wie der Abschnitt zu den Frauen), wo künftige Detail- und Vergleichsforschung ansetzen könnte.

Erfreulicherweise enthält das vorliegende Buch kaum Verschreibfehler, die den Lesefluss hemmen (eine Ausnahme: Tannenburg statt korrekt Tannenberg, 41). Nur hier und da haben sich darüber hinaus Unrichtigkeiten eingeschlichen: Auf Seite xiv ist zu lesen, dass die Zeitschrift Annuarium historiae conciliorum 1979 gegründet worden sei; tatsächlich war 1969 der Startjahr dieser Publikation, die seit dem Jahrgang 50 (2020) unter dem TitelAnnales historiae conciliorum firmiert. Das Konzil von Pisa dauerte nicht von 1409-1410 (10), sondern wurde bereits nach drei Monaten am 7. August 1409 beendet. Auf dem ersten Konzil von Lyon (1245) spielten dienaciones keine nennenswerte Rolle (16), anders als auf dem Nachfolgekonzil (1274, ebenfalls in Lyon). Manuel Chrysoloras starb auch nicht auf dem Weg zum Konzil (29), sondern erreichte mit Johannes XXIII. Ende Oktober 1414 Konstanz, wo er dann am 14. Mai 1415 verschied. Johannes von Wallenrode, Erzbischof von Riga, war nicht der Leiter der Gesandtschaft des Deutschen Ordens in Konstanz; dies war der Ordensprokurator an der Kurie Peter von Wormditt (41). Der Bischof von Trier, Werner von Königstein (80), war ein Erzbischof und hieß Werner von Falkenstein. Das erste Bleisiegel des Konzils wurde nicht 1417 (115), sondern bereits 1415 verwendet. Zweifellos sind das vermeidbare, allerdings etwas ärgerliche Nachlässigkeiten, die den Wert der Studie aber nicht grundlegend in Frage stellen können.

Trotz der Komplexität der Thematik, für die einschlägige Vorkenntnisse in hohem Maße nützlich sind, lässt sich Stumps Studie flüssig lesen. Dies entspricht auch dem selbstgesetzten Anspruch “to tell a good story” (xvi). Für den Rezensenten war es jedenfalls eine spannende wie gewinnbringende Lektüre.

Mit seiner Arbeit setzt der renommierte US-amerikanische Konstanzforscher Maßstäbe für ein ‘Zurück zu den Quellen’ und zugleich einen kritischen Umgang mit diesen. Er traut sich darüber hinaus, althergebrachte und liebgewonnene Ansichten und Klischees der einschlägigen Literatur über Bord zu werfen, wenn er nach genauer Analyse seiner Quellen zu anderen Einschätzungen bzw. neuen Erkenntnissen gelangt, und er begründet diese sorgfältig. Dadurch kann der interessierte Leser erkennen, auf welcher Basis der Autor zu seinen neuen Positionen gelangt ist, und sich ggf. mit diesen produktiv auseinandersetzen. Damit zeigt die klar und strukturiert angelegte Studie ein Vorgehen, das hoffentlich auch bei vielen jungen Forschern Schule machen wird.

Ohne Zweifel gehört Stumps Studie zu den wichtigsten Publikationen der neueren Forschung zum Konstanzer Konzil. Der in vielen Aspekten bereichernden Arbeit sind daher viele neugierige wie kritische Leser zu wünschen.